Schwarze Romantik an der FOSBOS
Schwarze Romantik an der FOSBOS

Der seit Kindertagen durch den Tod des Vaters traumatisierte Nathanael, die Hauptfigur in E.T.A. Hoffmanns schauerlicher Erzählung „Der Sandmann“, verliebt sich in die seelenlose, mechanische Puppe Olimpia und sieht in ihr die perfekte Frau. Gleichzeitig stößt er seine überaus empathische Braut Clara von sich und beschimpft sie als leblosen Automaten. Die Entdeckung der wahren Natur Olimpias treibt ihn in den Wahnsinn und schließlich auch in den Selbstmord.
Für den Schauspieler Reimund Groß besitzt dieses vermeintlich angestaubte Werk des frühen 19. Jahrhunderts große Aktualität: „Wie wir heute im Inneren aufs Entsetzlichste erschrecken und uns verwirren können, im Angesicht der Schattenseiten unserer technischen Errungenschaften, den damit verbundenen gesellschaftlichen Entwicklungen, den Ängsten, die durch diese Schattenseiten entstehen - und sich dann in schrecklichen, wahnsinnigen Taten Einzelner ausdrücken können, das bildet für mich den tiefen, hochaktuellen, gespentischen [!] Kern des Sandmanns.“ (Quelle: https://www.reimundgross.de/die_literaturbrauerei)
Nach wenigen Sätzen zur eigenen Biographie – geboren auf einem Bauernhof in Nordhessen, besuchte Reimund Groß die Schauspielschule am Theater der Keller in Köln, erhielt Engagements an verschiedenen deutschen Bühnen, lebt mittlerweile auf einem Hof im Havelland und arbeitet als Schauspieler, Regisseur und Landwirt – konnten die Schülerinnen und Schüler der 12. Klassen der FOSBOS Amberg den Mimen rund 70 Minuten bei seiner Verwandlung in sämtliche relevanten Figuren von E.T.A. Hoffmanns Erzählung bewundern. Mit einem Minimum an Requisiten bzw. Kostümteilen, dafür aber mit vollem Stimm- und Körpereinsatz war er mal Nathanael, mal Clara, mal Olimpia oder eine Erzählerfigur.
Völlig zurecht wurde diese Darbietung am Ende mit großem Applaus honoriert. Und weil einem Schauspieler nach eigener Aussage nichts wichtiger ist als die Meinung des Publikums, stellte sich Reimund Groß im Anschluss auch den Fragen der Anwesenden. Vor allem sein Hinweis auf den mehrere Monate umfassenden Prozess der Erarbeitung dieser Bühnenfassung versetzte die Schülerinnen und Schüler in Erstaunen.
Und was bleibt nun am Ende übrig von diesem kurzweiligen Ausflug in die Literatur der „Schwarzen Romantik“? Wie kann man ernsthaft eine Maschine, einen Automaten mit einem echten Menschen verwechseln und sich in eine solch immense Selbsttäuschung verlaufen wie Nathanael? Völlig aus der Luft gegriffen und unrealistisch? Mag sein. Könnte uns modernen, aufgeklärten Menschen nicht passieren. Allerdings war es bis vor wenigen Jahren auch nicht vorstellbar, dass Verschwörungstheorien dermaßen salonfähig werden und auch durchaus intelligente Menschen sich jedem Gegenargument entziehen, wodurch ein völlig hermetisches Selbstbild, ein selbstgeschaffener Vorstellungskäfig, entsteht, in den man sich bewusst einschließt.
Dr. Christoph Wagner